Die Interessengemeinschaft öffentlicher Verkehr (IGöV) vertritt die Anliegen und Bedürfnisse der ÖV-Nutzerinnen und -Nutzer – Präsidentin Florence Brenzikofer über die grössten Herausforderungen und die dringlichsten Projekte.
Florence Brenzikofer, an welchen Stellen und warum harzt es aus Sicht der IGöV?
Erstens stagniert die Nachfrage im ÖV seit 2010 trotz grosser Investitionen. Hier müsste der Bund ansetzen und überlegen, was in seiner Planung schiefläuft. Zweitens wurden seit den 1990er-Jahren der Unterhalt und die Sanierung der Bahninfrastruktur durch das BAV und die SBB vernachlässigt. Drittens setzte man zu viel Hoffnung in neue Technologien und gab in der Ost- und Westschweiz wichtige Infrastrukturprojekte zur Reduktion der Reisezeiten auf. Viele Bauprojekte sind um Jahre verzögert. Woran liegt das und wie liessen sie sich beschleunigen? Das langfristige Fahrplankonzept – Zeithorizont 2050 – ist zu überarbeiten, wozu das BAV unbedingt das Know-how der SBB beiziehen muss. Weiter müssen die Bewilligungsverfahren von Grossprojekten besser koordiniert werden, damit nicht wieder ein Schiffbruch wie beim Umbau des Bahnhofs Lausanne passiert. Was kann gegen den Fachkräftemangel getan werden? Die Bahnen brauchen eine glaubwürdige und langfristige Personalpolitik, die zum Beispiel dauernde Überstunden und ungeplante Einsätze von Lokführerinnen und Lokführern vermeiden. Weiter braucht es eine Personalstrategie, die den Mitarbeitenden einen sicheren Arbeitsplatz gewährt, eine Entwicklungsperspektive gibt und für junge Mütter und Väter attraktiv ist. Welche Ausbauprojekte sind aus Sicht der IGöV am dringendsten? Es braucht eine Rückbesinnung auf die Tugenden, welche zum Erfolg der Bahn 2000 und der Neat-Projekte führten. Gestützt auf die empirisch erhobenen Verkehrsbedürfnisse der Bevölkerung ist ein Fahrplankonzept zu erstellen. Dann kann die Frage beantwortet werden, wo neue Infrastrukturen für die Umsetzung des Fahrplankonzepts nötig sind. Im Einzelfall kann dies auch Neubaustrecken zwischen den grossen Zentren bedeuten. Was halten Sie davon, wenn bürgerliche Politikerinnen und Politiker von der Gleichberechtigung der Verkehrsteilnehmenden sprechen? Die Schweiz hat sich zum Ziel gesetzt, Netto-Null bei den Klimaemissionen bis 2050 zu erreichen. Das Volk hat dazu soeben das Klimaschutz-Gesetz angenommen. Dieses Ziel können wir nur erreichen, wenn wir den Verkehr im grossen Massstab von der Strasse auf die Schiene verlagern. Der motorisierte Strassenverkehr ist der grösste Klimasünder. Leider hat das Parlament unter dem Einfluss der Autolobby Milliarden für den Ausbau der Autobahnen bewilligt. Mit der Floskel der Gleichberechtigung wird nur kaschiert, dass damit das Klimaschutzziel missachtet wird. |
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Juni 2024
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